Interview zur Digitalpolitik: „Die Mittelvergabe ist ein entscheidender Mechanismus“

Eine bidt-Analyse zeigt auf, wie unterschiedlich Digitalisierung in den Bundesländern gesteuert wird.

Foto: Yanawut_Suntornkij – stock.adobe.com

Investitionen in die Infrastruktur zählen zu den Schwerpunktthemen von Digitalisierungsstrategien. (Foto: Yanawut_Suntornkij – stock.adobe.com)

Das bidt-Projekt „Digitale Transformationsstrategien bundesdeutscher Länder“ liefert einen Vergleich unterschiedlicher Herangehensweisen an die Digitalpolitik.

Ein Interview mit Co-Projektleiter Professor Thomas Hess und der wissenschaftlichen Referentin Katharina Brunner zur soeben veröffentlichten Projektstudie.

Warum haben ab 2015 fast alle Bundesländer begonnen, Digitalstrategien zu veröffentlichen?

Katharina Brunner: Digitalisierung wurde von der Politik als immer wichtiger erkannt. Hamburg und Bayern haben schon 2015 digitalpolitische Strategien veröffentlicht. Der Großteil der Bundesländer ist 2018, 2019 nachgezogen. Eine wichtige Rolle haben dabei die Landtagswahlen gespielt.

Thomas Hess: In der Wirtschaft wurde bereits vor 20 Jahren mit dem Aufkommen des Internets klar, dass bezogen auf die Digitalisierung Handlungsbedarf besteht. Die Unternehmen haben daher schon früher entsprechende Strategien erarbeitet. In der Politik hat sich dieses Bewusstsein erst nach und nach durchgesetzt. Das hat schließlich dazu geführt, dass Digitalisierungsstrategien entwickelt wurden.

Digitalisierung gilt als Querschnittsthema, weil sie so viele Bereiche der Gesellschaft und Wirtschaft erfasst: Welche besonderen Herausforderungen stellt das an die Politik?

bidt-Referentin Katharina Brunner. Foto: bidt/Klaus D. Wolf

bidt-Referentin Katharina Brunner bei einem Vortrag auf den bidt-Sprint Reviews im September 2020. Foto: bidt/Klaus D. Wolf

Katharina Brunner: Eine Regierung ist ja organisiert in Ministerien. Das Ressortprinzip ist in der Politik sehr dominierend. Das macht es schwierig, ein Thema wie die Digitalisierung in bestehenden Organisationsstrukturen und Arbeitsprozessen abzubilden.

Thomas Hess: Man muss dazu aber sagen, dass das auch für das Thema Umwelt galt und gilt. Das ist ebenfalls ein Thema, das in vielen Ressorts relevant ist und für das dann in Bund und Ländern eigene Ministerien geschaffen wurden. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich manche dahinter verstecken, dass Digitalisierung ein Querschnittsthema ist – auch wenn das Ressortprinzip in der Tat ein Problem ist.

Neue Technologien wirken ja nicht nur auf das Ressort eines Ministeriums, sondern auf viele Bereiche. Das ist das Spannungsfeld, in dem man sich rein sachlich bewegt.

Thomas Hess

Was sind die wesentlichen Erkenntnisse Ihrer Studie zur Digitalpolitik?

Katharina Brunner: Es gibt zwei Varianten, das Querschnittsthema politisch zu fassen. Die eine ist, das schon bei der Entwicklung einer Strategie mitzudenken und sich dafür möglichst breit aufzustellen und verschiedene Stakeholder – die intern sein können, also innerhalb der Regierung, innerhalb der Ministerien, aber auch externe Personen – einzubinden. Der andere Weg ist, prozessorale und strukturelle Änderungen zu schaffen, die dann bei verschiedensten Entscheidungen ein Mechanismus sein können, das Thema Digitalisierung aufzugreifen.

bdit-Direktor Professor Thomas Hess (Foto: bidt/Klaus D. Wolf)

bdit-Direktor Professor Thomas Hess bei einer Panel-Diskussion über Digitalisierung (Foto: bidt/Klaus D. Wolf)

Thomas Hess: Das eine ist die Partizipation: die Frage, inwieweit man die Bürger einbezieht. Das andere ist, inwieweit man das Thema bei den Ressorts lässt oder eine zentrale Instanz dafür schafft. Es gibt sowohl Argumente für das eine wie für das andere. In der dezentralen Instanz, in Fachministerien, gibt es die Spezialisten. Und das Argument für die zentrale Lösung ist, dass es übergreifende Themen gibt. Neue Technologien wirken ja nicht nur auf das Ressort eines Ministeriums, sondern auf viele Bereiche. Das ist das Spannungsfeld, in dem man sich rein sachlich bewegt. Dazu muss man natürlich beachten, dass in Koalitionsregierungen Ressorts von unterschiedlichen Parteien geleitet werden.

Wie wird denn die Digitalpolitik gesteuert? Gibt es da Unterschiede zwischen den Bundesländern?

Thomas Hess: Es gibt zwei Bundesländer, die ein Digitalministerium haben, wenn auch in unterschiedlicher Form. In Hessen ist das Digitalministerium Teil der Staatskanzlei. Bayern hat inzwischen ein vollständig separiertes Digitalministerium. Beides sind zentrale Lösungen. Und es gibt die dezentrale Variante. In Baden-Württemberg übernimmt ein starkes Ministerium, das Innenministerium, die Koordination der Digitalisierung. In NRW ist es das Wirtschaftsministerium. Die latente Gefahr bei dieser Lösung ist, dass die koordinierenden Ministerien die ihnen nahestehenden Themen als Erstes sehen. Dafür ist die politische Durchsetzbarkeit stärker, wenn ein starkes Ministerium dahintersteht.

Koordinierende Stellen brauchen auch die Entscheidungsmacht, um digitalpolitische Interessen durchsetzen zu können. Die Mittelvergabe ist dafür ein gutes Steuerungsinstrument.

Katharina Brunner

Welche Rolle spielt das Instrument der Vergabe finanzieller Mittel in den Strategien?

Thomas Hess: Die Mittelvergabe ist ein entscheidender Mechanismus. Im Grunde gibt es zwei Modelle: Jedes Ressort erhält sein eigenes Geld und kann frei darüber entscheiden, wie es eingesetzt wird. Oder es gibt einen großen zentralen Topf für Digitalisierung, sodass das Geld über eine koordinierende Instanz fließt, die das an bestimmte Bedingungen knüpft.

Katharina Brunner: Koordinierende Stellen brauchen auch die Entscheidungsmacht, um digitalpolitische Interessen durchsetzen zu können. Die Mittelvergabe ist dafür ein gutes Steuerungsinstrument. Digitalisierungshaushalte können die digitalpolitische Entscheidungskompetenz stärken.

Welche Themenfelder spielen in der Digitalpolitik vor allem eine Rolle?

Thomas Hess: Das Spektrum ist sehr breit. Es werden viele Themen behandelt. Zu Beginn war es schon auf die Wirtschaft fokussiert. Der Bayerische Digitalisierungsbeirat, den es früher gab, war zum Beispiel im Wirtschaftsministerium angesiedelt. In vielen Bundesländern ist das Bewusstsein für die Bedeutung der Digitalisierung aus dem Wirtschaftsressort gekommen. Aber dann hat es sich schnell verbreitert.

Katharina Brunner: Viele Themen werden in allen Strategien behandelt, wie digitale Infrastruktur oder Bildung. Nach und nach sind in den Strategien dann auch Technologien und Themen aufgetaucht, die in aller Munde waren wie KI, Blockchain und Smart Cities.

Eine Digitalstrategie ist nie fertig. Man muss immer schauen, was an neuen Technologien kommt und welche Bedeutung diese haben.

Thomas Hess

Die Digitalisierung bringt ja laufende Veränderungen mit sich. Wird das bei den Strategien gleich mitbedacht?

Thomas Hess: Es ist zum Beispiel aus meiner Sicht eine Aufgabe des Bayerischen Digitalministeriums in seiner Rolle als koordinierende Instanz, neue Technologien kontinuierlich zu beobachten, aufzugreifen und zu überlegen, für welches Politikfeld das relevant ist. Zum Beispiel war so beim Blockchain schnell klar, dass das etwas für den Finanzbereich ist. Später wurde deutlich, dass dies auch etwas für die allgemeine Verwaltung sein könnte. Aktuell ist zum Beispiel Quantencomputing einzuordnen. Aber eine Digitalstrategie ist nie fertig. Man muss immer schauen, was an neuen Technologien kommt und welche Bedeutung diese haben. Das ist eine technologiegetriebene Sichtweise, aber natürlich ist man gut beraten, da nicht stehen zu bleiben, sondern die Implikationen für die Gesellschaft zu bedenken.

Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland traditionell im Mittelfeld ab.

Katharina Brunner

Wie steht Deutschland verglichen mit anderen Ländern da?

Katharina Brunner: Digitalisierungsstrategien gibt es natürlich auch international, auf Landes- oder regionaler Ebene. Im internationalen Vergleich, zum Beispiel beim Desi-Index der EU-Kommission, der die Leistung in der Digitalisierung und die digitale Wettbewerbsfähigkeit messen soll, schneidet Deutschland traditionell im Mittelfeld ab.

Thomas Hess: Vor allem in Nordeuropa war das Thema der Digitalisierung in der Breite schon früher auf der Agenda. Wir wollen uns in einem anschließenden Schritt ansehen, welche Mechanismen es in anderen Ländern bei der Entwicklung und Umsetzung von Digitalisierungsstrategien gibt. Unser Ziel ist es, gute Lösungen zu finden und in die deutsche Diskussion miteinzubringen.

Prof. Thomas Hess leitet das Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien an der LMU und ist Mitglied im bidt-Direktorium.

Katharina Brunner ist wissenschaftliche Referentin am bidt.

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