„Die Digitalisierung erschüttert das Recht in seinen Grundfesten“

Der Jurist Dirk Heckmann setzt auf Kreativität, um ein so dynamisches Feld wie die Digitalisierung zu gestalten. Entscheidend dabei sei auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit, wie sie das bidt ausmacht.

„Das ist doch Quatsch, was du machst – dieses Internet ist eine Modeerscheinung, das vergeht schnell wieder.“ Solche Sprüche bekam Dirk Heckmann über Jahre hinweg zu hören. Der Juraprofessor und bidt-Direktor war einer der ersten Juristen Deutschlands, der Mitte der 1990er-Jahre die Bedeutung des Internets erkannte, in das man sich damals noch über piepsende Modems einwählte.

Professor Dirk Heckmann, Mitglied im Direktorium des bidt. (bidt / Diane von Schoen)

Professor Dirk Heckmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Recht und Sicherheit der Digitalisierung an der TU München und Mitglied im Direktorium des bidt. (Foto: bidt / Diane von Schoen)

Bereits 1997 hat Dirk Heckmann seine erste Vorlesung zum Internetrecht gehalten – allerdings für die Informatik-Fakultät an der Universität Passau. Heute ist Dirk Heckmann Inhaber des Lehrstuhls für Recht und Sicherheit der Digitalisierung an der Technischen Universität München und Mitglied im Direktorium des bidt.

Wenn er zurückblickt, erinnert er sich noch gut daran, dass er es als Pionier seines Fachs alles andere als einfach hatte. Und obwohl ihm die technologische Entwicklung recht gegeben hat, spricht er von einem großen „Glücksfall“, der ihm damals zuteilwurde: „Ich hatte einfach das Glück, dass sich für meinen neuen Lehrstuhl in Passau ein Forschungsgebiet ergab, das ich von Beginn an mitgestalten konnte.“ Als entscheidend dafür betrachtet er seine kreative Ader – ursprünglich wollte er nicht Jura, sondern Klavier studieren und Komponist werden. Das Internet eröffnete ihm nun auch als Jurist die Chance, „etwas zu gestalten: Es war die Möglichkeit, schöpferisch tätig zu sein. Das hat mich wahnsinnig fasziniert.“

Neue Rolle für das Recht

Für das Recht bedeuten das Internet und die ihm zugrundeliegenden Technologien enorme Herausforderungen. „Die Digitalisierung bringt Veränderungen mit sich, die das Recht in seinen Grundfesten erschüttern“, sagt Dirk Heckmann.

Funktionen, die bislang das Recht in der Gesellschaft hatte, etwa Interessen auszugleichen oder Konflikte zu lösen, übernehmen infolge der Digitalisierung nun Technologien. „‚Code is law‘, wie Lawrence Lessig es schon 1999 formuliert hat“, ergänzt Dirk Heckmann.

Mögliche Rechtsverstöße lassen sich so durch technische Lösungen teilweise im Vorhinein verhindern. Zum Beispiel beim Urheberrecht: Technologien wie Uploadfilter automatisieren gewissermaßen die Durchsetzung des Rechts, da es dadurch gar nicht mehr möglich ist, urheberrechtlich geschützte Inhalte ins Internet hochzuladen. Dass dies wiederum rechtlich und auch ethisch problematisch ist, weiß Heckmann und arbeitet an gemeinwohlverträglichen Lösungen.

Die Rolle von Juristinnen und Juristen wandelt sich. Auch die Ausbildung muss sich ändern.

„Damit wandelt sich auch die Rolle von Juristinnen und Juristen. Es geht nicht mehr darum, Verstöße zu ahnden, sondern darum, sie von vorneherein zu unterbinden“, sagt Dirk Heckmann, der die Rolle eines Richters in Robe durchaus selbst kennt, ist er doch seit dem Jahr 2003 im Nebenamt Verfassungsrichter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof.

„Die Aufgabe für Juristinnen und Juristen ist heute also nicht mehr nur, repressiv zu urteilen, sondern präventiv ein System mitzugestalten. Daher muss sich auch die Ausbildung für Juristinnen und Juristen ändern.“ In einem Interview plädierte Dirk Heckmann einmal dafür, „die Lebenswirklichkeit zum Gegenstand der Juristenausbildung zu machen“.

An der Universität Passau, wo Dirk Heckmann von 1996 bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht war, hat er das Studienfach Internetrecht initiiert und die Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik (For..Net) sowie das Institut für IT-Sicherheit und Sicherheitsrecht ISL aufgebaut.

Der Jurist setzte dabei früh auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit und Forschung, wie sie auch die Arbeit des bidt prägt. Er hat von Anfang an mit Informatikerinnen und Informatikern zusammengearbeitet und auch, etwa im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Privatheit und Digitalisierung“, mit Kolleginnen und Kollegen aus Fachrichtungen wie den Medien- und Kulturwissenschaften, der Philosophie und Soziologie.

Wie die Dynamik des Internets regulieren?

Dirk Heckmann setzt sich dafür ein, die Digitalisierung gemeinwohlorientiert zu gestalten. Als Mitglied der Datenethikkommission der Bundesregierung warnte er vor der „digitalen Totalüberwachung“ des Menschen. „Digitalisierung hat beide Perspektiven. Auf der einen Seite gibt es zum Beispiel Geschäftsmodelle, auch unredliche, die auf der Ausnutzung personenbezogener Daten basieren. Aber es gibt auch viele Möglichkeiten, Daten zum Nutzen aller zu verarbeiten, etwa im Gesundheitsbereich. Hier lassen sich durch die Auswertung großer Datenmengen bessere Diagnosen und Therapien erreichen.“

Regulierungen sind immer Momentaufnahmen. Dem stehen extrem dynamische Entwicklungen gegenüber.

Wenn es um die Frage der Regulierung digitaler Technologien geht, reagiert Dirk Heckmann eher zurückhaltend. „Regulierungen sind immer Momentaufnahmen. Dem stehen extrem dynamische Entwicklungen gegenüber. Das Recht hat Beharrungstendenzen, etwas Statisches – das ist richtig so, man kann ja nicht laufend die Rechtsordnung ändern. Aber das Internet und Technologien wie Künstliche Intelligenz sind hochdynamisch“, erklärt der Jurist. „Was genau soll denn zum Beispiel in einem KI-Gesetz stehen, das immer wieder gefordert wird?“

Das heiße nicht, dass man keine Gesetze mehr machen könne, aber es müssten agile Formen sein.

Dazu könnte etwa gehören, Leitlinien für technische Standards zu entwickeln, zum Beispiel über Kollaborationsplattformen, in denen unter anderem Branchenvertreterinnen und -vertreter, technische Sachverständige und IT-Juristinnen und -Juristen dafür sorgen, dass der politische Wille und alle rechtlichen Vorgaben ausreichend durch die automatisierten Prozesse abgebildet werden.

Es besteht ein unglaublicher Bedarf nach Gestaltung und neuen Lösungen.

Zugleich geht die Steuerungskraft des Rechts dadurch verloren, dass das Internet weltumspannend ist und es unterschiedliche nationale Rechtssysteme gibt. „Das funktioniert analog, führt im digitalen Raum aber zu Widersprüchen. Da entstehen Dilemmata und es besteht ein unglaublicher Bedarf nach Gestaltung und neuen Lösungen – das ist eine hochkreative Aufgabe“, sagt Dirk Heckmann. Er ist davon überzeugt, dass es gelingen wird, die digitale Transformation zu gestalten und mögliche negative Entwicklungen zu zügeln.

Den technologischen Entwicklungen, auch den digitalen Medien gegenüber, ist Dirk Heckmann sehr offen, und das nicht nur aus Forschungsinteresse. Er ist bestens vernetzt, hat als @elawprof viele Follower auf Twitter und den Hackathon der Bundesregierung #WirvsVirus als Mentor unterstützt. Von sich selbst sagt Dirk Heckmann noch heute, dass er „kein typischer Jurist“ ist. Er habe ein „Riesenglück“ gehabt, weil er „über den großen Umweg Jura“ genau dort hingekommen ist, wo er von seiner Kreativität profitiert.

Die Berufung auf den Lehrstuhl an der TUM im Jahr 2019 und in das interdisziplinär besetzte Direktorium des bidt seien das Beste, was ihm passieren konnte: „Ich bin jetzt quasi zu Hause.“ (bidt)

Das Porträt ist Teil einer Reihe über die Expertinnen und Experten im bidt-Direktorium.

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